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Wer weiß schon…

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Histaminintoleranz in den Medien

Wer weiß schon, was gesund ist?

 

Wer hier regelmäßig mitliest, kennt wohl bereits meinen Verriss des infamen Zeit-Online-Artikels über Lebensmittelintoleranzen.

Der Zeit-Artikel erschien vor fast genau einem Jahr, im November 2013. Nun hat der ORF diesen Artikel auch endlich entdeckt und hielt es für nötig, einen eigenen zum gleichen Thema zu verfassen.

Gleich vorweg, man muss ja fast schon froh sein, dass zumindest der ORF die Existenz von Histaminintoleranz – anders als die Zeit – nicht anzweifelt. Dennoch weist der Artikel einige Mängel auf und ich möchte diesen Beitrag hier nutzen, ein paar Dinge noch einmal genauer zu erläutern.

ORF

Der interviewte Arzt vom AKH (Abteilung für Zöliakie) geht im Artikel an sich nur auf gluten-induzierte Probleme ein, also auf Glutenintoleranz und Zöliakie selbst. Seine Aussagen kann ich soweit unterstützen. Ich halte auch nichts von Einfach-ins-Blaue-Mehrfach-Eliminationsdiäten gleichzeitig, weil man mehrere Verdachte hegt. Die möglichen Nährstoffmängel, die man sich so leicht zuziehen kann, können ähnliche Beschwerden hervorrufen wie eine Intoleranz sie aufweisen würde, und mit Mängeln ist nicht zu spaßen.

Der Artikel handelt aber alle Intoleranzen ab, obwohl man sich nur mit einem „Gluten-Spezi“ unterhalten hat.

Es ist durchaus anzuraten, bevor man auf eigene Faust eine Eliminationsdiät startet, einen Spezialisten für Allergien oder Immunologie oder einen Gastroenterologen zu konsultieren.

In der Realität fangen hier die Probleme meist an, wenn man eine andere Intoleranz als Gluten-, im konkreten Fall, eine Histaminintoleranz oder eine andere histamin-induzierte Krankheit vermutet. Um zum Spezialisten zu gelangen, bedarf es der Überweisung durch den Hausarzt und nicht selten wird man bereits hier schief angeschaut: „Wie, was glauben Sie zu haben, Histaminintoleranz?“ Ich rate jedem sich an dieser Stelle dennoch durchzusetzen und eben die Überweisung zu erwirken.

Am besten recherchiert man im Internet einen Spezialisten, der schon einmal von HIT gehört hat (HIT-Foren können hier sehr hilfreich sein). In Zeiten, wo auch die Zeit die Existenz dieser Intoleranz noch immer anzweifelt, gibt es leider auch noch immer zu viele Ärzte (auch vermeintliche Spezialisten), die noch nie von HIT gehört haben oder diese Intoleranz so rigoros anzweifeln wie die Zeitschrift Zeit.

Aber gehen wir einmal ganz optimistisch davon aus, dass man einen „HIT-Spezi“ findet, was dann?

Yasmina von Healing Histamine hat, wie ich finde, ganz herrlich die verschiedenen Testverfahren für Histamin-induzierte Störungen hier (Englisch) aufgelistet.

Das Problem mit der Diagnose von HIT ist ähnlich und doch anders gelagert als bei Zöliakie, wo man gewisse Mengen Gluten nach wie vor zu sich nehmen muss, um Antikörper feststellen zu können. Wenn man die Histaminwerte im Blut-Plasma testet und sich bereits histaminarm ernährt, kann dies die Referenz verzerren. Denn dank der histaminarmen Diät sind die Histamin-Werte (es gibt keine Antikörper bei HIT) womöglich zu niedrig, als dass man pauschal von einer HIT ausgehen könnte. Lösung: Reden. Man sagt seinem Arzt, dass man seine Ernährung bereits angepasst hat. Zuweilen kann es auch dauern einen Termin beim Spezialisten zu bekommen und will man bis dahin leiden, wenn man schon einen begründeten Verdacht auf HIT hat?

Nach wie vor ist es so, dass es keinen einfachen, einzelnen Test gibt, der eindeutig die Diagnose HIT zulässt. Daher wird der Arzt ohnehin auch noch die DAO-Aktivität testen müssen. DAO ist ein Enzym, das für den Histaminabbau im Körper verantwortlich ist (hauptsächlich im Verdauungstrakt). Daneben gibt es aber auch noch das Enzym HNMT, das in anderen Mastzellen aktiv ist (z. B. im zentralen Nervensystem). Mehr zum Thema Körper und Histaminabbau gibt es unter Über Histaminintoleranz. Und die Aktivität von HNMT lässt sich bis dato nicht einfach so testen. Einen genetischen Defekt kann man anhand von Genom-Mapping feststellen.

Recht brutal ist mitunter die Diagnose Provokationstest (meist unter ärztlicher Aufsicht in einer Klinik über einen bestimmten Zeitraum). Brutal deswegen, weil man sich das Ganze so vorstellen muss: „O.K., wir haben den Verdacht auf HIT. Dann führen wir Ihnen einfach mal Histamin zu (beim Provokationstest meist sukzessive etwas mehr) und schauen, was passiert.“ Beim 50-Skin-Prick-Test wird die Hautreaktion untersucht – das geht meist ohne gröbere Komplikationen und ist unabhängig davon, ob bereits die Ernährung auf histaminarm umgestellt wurde oder nicht.

Das Positive am Provokationstest: Eine Reaktion macht meist eine histamin-induzierte Störung recht klar.

Das Negative: Wer wirklich HIT hat, wird mitunter massiv reagieren. Das heißt die gängigen Beschwerden von HIT sind die Folge (nicht alle müssen auftreten):

  • Anschwellende Nasenschleimhaut, laufende Nase, Niesen, Auswurf, Hustenreiz, Atembeschwerden
  • Verdauungsprobleme: Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen, Sodbrennen
  • Juckreiz, Hautausschlag, Hautrötungen, Erröten (Flush im Gesicht)
  • Hitzewallungen, Schweißausbrüche, gestörtes Temperaturempfinden
  • Herzrasen, Herzstolpern, Herzklopfen, Blutdruckabfall
  • Kopfschmerzen, Migräne, Schwindel
  • Schlafstörungen, Müdigkeit
  • Übelkeit, Erbrechen
  • Menstruationsbeschwerden
  • Ödeme (Schwellungen, Wasseransammlungen, z. B. geschwollene Augenlider)

Ehrlich gesagt, bin ich der Ansicht, dass dieses Testverfahren im Konflikt mit dem medizinischen Kodex ist: Man soll kein unnützes Leid zufügen. Man haut ja auch niemandem bei einem gebrochenen Arm auf den Arm, um zu sehen, ob der derjenige wirklich aufschreit … Zum Glück gibt es in der Klinik dann im Notfall stets ein Antihistaminikum, falls starke Beschwerden auftreten sollten.

Am zuverlässigsten ist dennoch nach wie vor die Eliminationsdiät mit anschließender Provokation durch einzelne Lebensmittel, um HIT festzustellen. Unter Über Histaminintoleranz gibt es Links und Tipps zu diesem Thema. Um Mängeln vorzubeugen, sollte die Auslassdiät mithilfe eines Diätologen bzw. Ernährungsberaters erfolgen. Die Nährstoffversorgung (Vitamine und Mineralstoffe) kann ein Arzt durch einen Bluttest prüfen. Da also die histaminarme Ernährung im Endeffekt ohnehin der erste Weg zur Besserung ist und auch die beste Diagnosemethode darstellt, spricht nichts gegen eine Eliminationsdiät, wenn man wirklich den Verdacht auf HIT hat. Wovon ich jedoch abrate, ist die strikte Kartoffel-Reis-Diät auf eigene Faust – v. a. wenn diese über mehrere Wochen durchgeführt wird. Der Grund sind auch hier wieder: mögliche Nährstoffmängel.

Aber zurück zum ORF-Artikel.

Wir haben gesehen, dass die Intoleranzen sehr individuell diagnostiziert werden. Was für Zöliakie gilt, gilt nicht unbedingt für alle anderen Intoleranzen.

Die wenigsten von uns sind die im Artikel angeführten „Sensibelchen“, die aus Jux eine Diät anfangen. Oft ist dieser Schritt eine Verzweiflungstat von Betroffenen, die einfach einmal wieder ohne Kopfschmerz, falschen Schwangerschaftsbauch oder geschwollene Lippen zur Arbeit, zu Freunden, in die Uni, ins Restaurant etc. gehen wollen. Die Beschwerden müssen ernst genommen werden.

Ich finde es sehr bedenklich, den wirklich unfassbar fehlgeleiteten Zeit-Artikel anzuführen.

Hinzu kommt: Glutenfreie Ernährung ist kein bloßer Hype von Hypochondern. Es gibt nicht nur populärwissenschaftliche Beiträge zum Thema „Gesund dank glutenfreier Ernährung“. Tatsächlich deuten zig Studien darauf hin, dass auch Gesunde von einer glutenfreien Ernährung profitieren. Schon lange wird diskutiert, ob Kuhmilch und Getreide (v. a. Weizen) überhaupt für den menschlichen Verzehr geeignet sind.

Wie die meisten von Euch wissen, habe ich, die diesen Blog schreibt, keine HIT, aber der Mann an meiner schon. Ich habe auch keine anderen Intoleranzen, zumindest ist mir nichts bekannt. Dennoch kann ich sagen, dass mir glutenfreies Brot nicht nur gut schmeckt, sondern auch weitaus leichter im Magen liegt.

Die Geldmacherei mit glutenfreien Produkten und anderen Spezialprodukten ist jedoch ein ganz anderes Thema. Vieles davon ist tatsächlich Quatsch (glutenfreies Mineralwasser z. B.). Auch histaminzertifizierter Wein (der gewisse Grenzwerte einhält), findet sich in immer mehr Verkaufsregalen. Wein ist ohnehin ein Luxusgut und wer von HIT betroffen ist, vermisst doch eher einmal die Zartbitterschoki, die Erdbeere oder Sauerkraut. Auf Wein können die meisten noch am ehesten verzichten. Zumal Alkohol sicherlich nicht zu den gesundheitsfördernden Superfoods gehört – da listet man vorher noch Kakao oder Kaffee auf.

Dennoch ist jeder Betroffene froh, wenn er nun glutenfreies Mehl (bei Glutenintoleranz oder Zöliakie) oder laktosefreie Pflanzenmilch (bei Laktoseintoleranz) im Supermarkt findet. Aber auch hier gilt es wachsam zu sein. Gerade glutenfreie Mehlmischungen weisen oft bei Histaminintoleranz bedenkliche Bindemittel auf. Daher gibt es ab Ende Dezember glutenfreie Spezialwochen auf dem Blog, wo wir auch Brot backen und zwar von 0 an – ganz ohne Fertigmischung oder bedenkliche Kleberersatzstoffe – und natürlich histaminarm.

 

(c) Histamin-Pirat

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